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Warum verbessern nicht immer besser ist - oder: von Effektivität und Effizienz

Erfolgreiches unternehmerisches Handeln verlangt die Gleichzeitigkeit von Effektivität und Effizienz. Einerseits geht es darum, ein Gespür für die richtigen Dinge, für die richtigen Angebote in seinem Markt zu haben (Effektivität). Andererseits müssen diese auch richtig gemacht und umgesetzt werden (Effizienz).


Das Problem


Im Zeitverlauf besteht ein systemisches Risiko, zunächst vorhandene Effizienzdefizite mittelfristig gegen Effektivitätsdefizite auszutauschen (vgl. Abbildung).


Ursächlich dafür ist das zeitliche Zusammenspiel von Effektivität und Effizienz: Am Anfang unternehmerischer Tätigkeit steht die Effektivitätsfrage. Sie ist Effizienzüberlegungen zeitlich vorgelagert, da eine Sache richtig zu machen, die Kenntnis der richtig zu machenden Sache voraussetzt. Im Gründungsprozess eines Unternehmens richtet sich die Aufmerksamkeit folgerichtig fast ausschließlich auf die Effektivitätsdimension des Markthandelns. Anschließend wendet sich die Perspektive. Logischerweise steht nun die Frage im Vordergrund, wie anfängliche Effizienzdefizite einer effektiven Idee durch kontinuierliche Verbesserungen überwunden werden können. Der dabei angestrebte Migrationspfad von einer Situation mit hoher Effektivität und geringer Effizienz zu einer Position mit gleichzeitig hoher Effektivität und Effizienz wird im Zeitraum allerdings durch eine autonom nachlassende Effektivität gefährdet. Denn Effektivität ist eine verderbliche Ware: Was gestern und vorgestern richtig gewesen ist, muss heute und morgen noch lange nicht richtig sein. Die Effektivität verliert im Zeitverlauf zunächst an Frische, bis sie irgendwann ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat. Die Haltbarkeit der Effektivität variiert dabei. Je dynamischer die Umweltbedingungen, desto schneller verläuft der Effektivitätsverfall.


Das tückische an dieser Entwicklung ist, dass sie nicht offensichtlich erfolgt: Effizienz- und Effektivitätsdefizite verbergen sich oberflächlich ununterscheidbar hinter einem insgesamt nachlassenden Unternehmenserfolg. Da viele Unternehmen aufgrund des skizzierten Prozesses schon lange im Effizienzmodus arbeiten, reagieren sie in der Regel auf diese Entwicklung reflexartig mit noch größeren Effizienzanstrengungen. Das Optimierungsgeschäft boomt entsprechend: Es macht inzwischen ca. 80% des Umsatzes klassischer Unternehmensberatungen aus. Auch wenn diese Bemühungen noch eine Zeit lang Wirkung zeigen, wird erstens der resultierende Effizienzzuwachs immer kleiner und zweitens der Effektivitätsverlust immer größer – das Unternehmen befindet sich in der Effizienzfalle.


Was bedeutet das für das Strategische Marketing?


Es besteht für jedes Unternehmen ein Risiko, sich aus dem Markt zu verbessern. Daher ist nicht nur die Optimierung bestehender Prozesse eine Managementaufgabe im Zeitraum, sondern auch die Hinterfragung und gegebenenfalls Kurskorrektur der Effektivität. Hierfür bieten sich zwei grundsätzliche Strategien an:


1) Vermeiden der Effizienzfalle


Die Effizienzfalle kann grundsätzlich vermieden werden, indem ein kontinuierliches Monitoring und evolutorisches Nachjustieren der Effektivität erfolgt: Stets gilt es die Frische des eigenen Geschäftsmodells zu reflektieren und die knappen Managementressourcen (vor allem Zeit, Aufmerksamkeit und Geld) nicht ausschließlich in die Effizienz-, sondern gleichgewichtig auch in die Effektivitätsdimension zu lenken. Der Gesamtwirkungsgrad aus Effektivität und Effizienz kann dadurch erhöht werden. So entwickelt ein erfolgreiches Unternehmen wie IKEA spätestens seit dem Markteintritt von ZARA Home neue Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten, um neue Wettbewerbsvorteile zu generieren statt sich auf einen reinen Effizienzkampf einzulassen. Sogar oder gerade ein immer wieder als Musterbeispiel für Innovation genanntes Unternehmen wie Apple muss und wird derzeit eine sehr ernsthafte Effektivitätsanalyse durchführen, da die Konkurrenz in den zentralen Nutzenargumenten Design und Anwenderfreundlichkeit bei Computern, Tablets und Smartphones langsam auf Augenhöhe ist - und teilweise innovativere Produkte auf den Markt bringt, die man eigentlich von Apple erwartet hätte.


2) Ausbruch aus der Effizienzfalle


Angesichts der grundsätzlich abnehmenden Effektivität im Zeitverlauf und gleichzeitig sinkenden Steigerungsraten der Effizienz, wird der Hebel einer Analyse der Effektivität eines Geschäftsmodells im Zeitverlauf größer – allerdings auch das Risiko, nicht mehr ausreichend Zeit für den nötigen Kurswechsel zu haben. Spätestens in dieser Situation sind drastische Veränderungen erforderlich: Das Unternehmen muss Wege finden, entweder die vermeintlichen Regeln seines Marktes zu brechen oder eine neue Spielarena zu betreten. So baut IKEA jetzt auch Häuser und plant Hotels. Das mittelständische Unternehmen Saertex hat bereits erfolgreich eine neue Spielarena betreten: Es hat einst Handtücher produziert und ist heute ein sehr erfolgreicher Anbieter technischer Textilien, die in der Automobilindustrie zunehmend metallische Materialien, wie Stahl oder Aluminium, ablösen. Axel Springer hat mit der Einführung von digitalen paid content Produkten für seine journalistischen Kernmarken BILD und WELT die Regeln des deutschen Medienmarktes gebrochen und so einen zweiten Erlösstrang neben Werbeeinnahmen im wichtigen und wachsenden Digitalbereich erschlossen. DIE ZEIT, FAZ, SZ und viele andere folgen diesem Weg inzwischen auch. Und die Buchbranche wird sich berechtigterweise fragen, warum sie bislang den Preis digitaler Produkte so eng an das analoge Pendant koppelt. Sind nicht auch eBooks denkbar, die wesentlich mehr bieten als ein herkömmliches Buch - und somit auch mehr wert sind?


Grundsätzlich sollten Effektivitätsanalysen bereits durchgeführt werden, wenn es noch keine klaren Anzeichen für eine nachlassende Effektivität des Geschäftsmodells gibt. Denn - anders als Effizienzsteigerungen - verlangt eine Neujustierung der Effektivität eine lange Vorlaufzeit. Und je länger ein Unternehmen bereits im Effizienz-Modus arbeitet, desto schwieriger wird die Umstellung. Ob zum Beispiel vielen Unternehmen der Autoindustrie noch rechtzeitig der Turn-around von Fahrzeugherstellern zu Mobilitätsanbietern gelingt, wird spannend zu beobachten sein.

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